Die Stadt hat „euch zu Ehren ihr Festgewand angelegt“
Das Verhältnis zwischen Bürgerschaft und Ettlinger Unteroffiziersschule
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts diente das markgräfliche Schloss in Ettlingen militärischen Zwecken. Ende der 1860er Jahre wurde das zuletzt als Großherzogliches Montierungsdepot benutzte Gebäude zu einer Kaserne umgebaut.
Am 1. Juni 1870 begann dann der erste Kursus der Großherzoglichen Badischen Unteroffiziersschule Ettlingen (USE). Ziel war es, junge Freiwillige zum Unteroffizier der Infanterie heranzubilden. In Folge des 70er-Krieges wurde das Schloss schon zwei Monate später als Reservelazarett gebraucht und die Ausbildung der Unteroffiziere wurde vorübergehend beendet.
Im Mai 1871 konnte die USE wiedereröffnet werden, die dann nach dem Willen des Kaisers Wilhelm I. in eine Königlich Preußische Unteroffiziersschule umgewandelt und dem 1. Badischen Leibgrenadier-Regiment Nr. 109 in Karlsruhe unterstellt wurde. Die Schule hatte zwei Kompanien mit 218 Schülern und 100 Ausbildern. 1882 waren es vier Kompanien mit einem gesamten Personalbestand von 623 Soldaten. Die Räume des Markgrafenschlosses waren dafür sehr beengt. So erbaute die Stadt Ettlingen von 1912 bis 1914 beim Lindscharren eine neue großräumige Kaserne. Der Erste Weltkrieg verhinderte den Bezug der neuen Kaserne, da in den Gebäuden ein Reservelazarett untergebracht wurde.
Von Oktober 1914 bis Juli 1915 war im Schloss eine Militärvorbereitungsanstalt für unter 17-Jährige eingerichtet. Im August wurde die USE wiedereröffnet.
Wegen Räumung der neutralen Zone musste die USE vorübergehend verlegt werden, konnte aber im Frühjahr 1919 wieder nach Ettlingen zurückkehren. Nach 50jährigem Bestehen erfolgte im März 1920 die endgültige Auflösung der USE.
Über 9000 junge Männer hatten in Ettlingen ihre soldatische Ausbildung erhalten.
In Veröffentlichungen zur USE wird herausgehoben, „dass zwischen der Schule und der Bevölkerung und Stadtverwaltung immer ein enger Kontakt bestanden hat. Die jungen Füsiliere waren in Ettlingen gerne gesehen und die Bewohner freuten sich, wenn „ihre“ Soldaten in den schmucken Uniformen das Stadtbild belebten. Manchen Angehörigen der Schule hat es hier so gut gefallen, dass er nach der Ableistung seiner 12jährigen Dienstzeit gerne wieder an den Ort seiner ersten militärischen Ausbildung zurückkehrte und mancher hier hat seine Lebensgefährtin gefunden.“1
Wir gehen im Folgenden der Frage nach, wie das Verhältnis zwischen der Stadtverwaltung, den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Ettlingen und den Angehörigen der Unteroffizierschule war. Was hat den ehemaligen Unteroffizierschülern in ihrer Garnisonstadt gefallen? Woran erinnern sie sich am liebsten? Wie verhielt sich Bürgermeister und Stadtverwaltung, wie die Stadtgesellschaft und Vereine zu den Wiedersehensfeiern der Ehemaligen? Dazu recherchierten wir in den Denkschriften anlässlich der Jahresfeiern und in Zeitungsberichten über diese Festlichkeiten.
Die 1933 gegründete Ortsgruppe Ettlingen der Vereinigung ehemaliger Angehöriger der Unteroffizierschulen und -vorschulen enthüllte bei der zweiten Wiedersehensfeier am 28. Juli1935 einen Gedenkstein für die verstorbenen ehemaligen Angehörigen der USE hinter der Herz-Jesu-Kirche auf dem Alten Friedhof. Das Denkmal hatte die Form eines großen Granitfelsens aus dem Schwarzwald, auf dem sich ein Eisernes Kreuz und die nachfolgende Gedenkinschrift befand.
„Dem Gedenken der im Weltkrieg Gefallenen und in der Garnison Ettlingen gestorbenen Angehörigen der Unteroffiziersschule Ettlingen 1870 – 1914-18
Errichtet anläßlich der Wiedersehensfeier 1935.“2
Gedenkstein zu Ehren der gestorbenen und gefallenen Unteroffiziersschüler, Fotograf Drücke, 1935
Quelle: Stadtarchiv Ettlingen
Errichtet wurde diese Anlage von der Stadtgärtnerei Ettlingen, der auch die weitere Pflege übertragen wurde. Das Monument befindet sich heute nicht mehr an diesem Ort. Bereits 1936 wurde der Gedenkstein in die Kaserne versetzt, wo er sich auch heute noch vor dem Casino befindet. Die Platte mit Originalinschrift ist nicht mehr vorhanden.
Bei der Einweihungsfeier hielten Bürgermeister Kraft für die Stadt Ettlingen, Kurat Weick für die katholische und Vikar Funk für die evangelische Gemeinde Ansprachen.
„Herr Bürgermeister Kraft rief allen namens der Stadt und der Bürgerschaft einen herzlichen Willkommensgruß zu, gedachte des guten Einvernehmens, das immer zwischen der Unteroffiziersschule, der Bürgerschaft und der Stadtverwaltung bestanden, freute sich, weil so viele den Weg wieder hierher gefunden haben … . Er erinnerte daran, daß die Bevölkerung immer gerne zurückdenkt an ihre ehemaligen Füsiliere und ihre schneidige Musikkapelle mit Meister Honrath an der Spitze. Die Verbundenheit mit ihnen soll auch weiterbestehen, trotz der räumlichen Trennung.“3
Im Vorfeld der zweiten Wiedersehensfeier 1935 wandten sich Bürgermeister Kraft und Ortsgruppenführer Prohl mit einem Aufruf an die Bevölkerung, in dem sie dazu aufforderten, „alle verfügbaren Zimmer und Betten der Ortsgruppe, natürlich gegen Bezahlung, zur Verfügung zu stellen.“ Außerdem wurde die Einwohnerschaft gebeten, „sich an der Ausschmückung der Häuser und Straßen nach Möglichkeit und Kräften zu beteiligen und auch die Häuser in der Festwoche zu beflaggen.“4
Bürgermeister Kraft führte in seiner Festrede aus: „Euch allen, die Ihr, den weiten Weg nicht scheuend, in alter Treue und Anhänglichkeit wieder einmal in Eure frühere Garnisonstadt Ettlingen gekommen seid, entbiete ich namens der Stadtverwaltung und der gesamten Bürgerschaft die herzlichsten Grüße. Die Stadt, die Euch in der Jugendzeit mehrere Jahre beherbergt hat, hat Euch zu Ehren ihr Festgewand angelegt, sie freut sich, so viele ihrer alten Bekannten für diese Tage frohen Wiedersehens wieder aufnehmen zu dürfen. Ihr dürft überzeugt sein, daß Ihr in Ettlingen auch diesmal wieder gern gesehene Gäste seid, und daß die gesamte Bürgerschaft sich freuen wird, mit euch diese schönen Tage begehen zu dürfen. Ihr herzlichster Wunsch ist es, daß es Euch vergönnt sein möge, in Eurer alten Garnisonstadt recht frohe Stunden zusammen mit der Ettlinger Bevölkerung in stolzer Erinnerung an frühere Zeiten zu verleben.“5
In einem Bericht des Badischen Landsmann ist über die 65-Jahrfeier ist zu lesen: „ Bei der ersten Wiedersehensfeier vor fünf Jahren hat es den ehemaligen Unteroffiziersschülern in der Garnisonstadt Ettlingen so gut gefallen, daß sie damals dem Wunsche lebhaften Ausdruck verliehen, recht bald wieder dem schönen Albstädtchen einen Besuch abzustatten. … Recht herzlich wurden sie alle aufgenommen. Die Stadt hat sich in ihr schönstes Festtagsgewand gelegt. Fahnen, Wimpel, Girlanden, Triumphbogen, Willkommensplakate usw. zierten Straßen und Häuser des historisch gewordenen Städtchens.“6
Ortsgruppenleiter Prohl „brachte auf die Garnisonstadt Ettlingen und ihre Bevölkerung ein dreifaches Hoch aus.“7
Erwähnt wurde auch der Musikverein, der mit einem Konzert und mit Tanzmusik die Feierlichkeiten bereicherte. Die Bürgerwehr hatte in ihren alten historischen Uniformen einen Doppelposten vor dem Rathaus, dem Schlosseingang und den Kriegerdenkmälern aufgestellt.
Den Abschluss der Feier bildete ein gemeinsames Zusammensein mit den Gästen und ihren Quartiergebern in der Stadthalle.
Neben dem großen Interesse und der Anteilnahme von Seiten der Stadt bestand eine starke Unterstützung der Wiedersehensfeiern auch in finanzieller Hinsicht:
• Die Stadt hat für beide Feiern Geldbeträge zur Verfügung gestellt. 1930 waren dies 300 RM für „Vorbereitungsarbeiten“.
• Die Stadthalle mit Turnhalle wurde unentgeltlich überlassen. 1935 wurde auch der große Rathaussaal für eine Sitzung bereitgestellt und mit Grünpflanzen dekoriert, was die Stadtgärtnerei übernahm.
• Kosten der Dekoration des Schlossgebäudes, des Schlosshofes und für das Aufstellen der Straßenfahnen übernahm 1930 die Stadt Ettlingen. Auch stellte sie hierfür die Fahnen zur Verfügung. Ebenso sorgte sie dafür, dass die 39 Gräber, der auf dem Friedhof begrabenen Kameraden - sie waren in der Zeit der Unteroffiziersschule von 1870 - 1920 in Ettlingen verstorben - mit einem Blumenstrauß geschmückt wurden.
Der finanzielle Gesamtaufwand betrug 400 RM.
• Die Festschrift von 1935 wurde großzügig durch Tourismuswerbung der Stadt und durch großflächige Anzeigen zahlreicher Ettlinger Gasthäuser finanziert.
• Der Bürgermeister sorgte 1935 dafür, dass in den damaligen Zeitungen „Mittelbadischer Kurier“, „Badische Presse“ und „Führer“ Artikel über die Wiedersehensfeier erschienen.
Wachen der Bürgergarde vor dem Rathaus, Fotograf: Becker, 1935
Quelle: Der Führer, 28. Juli 1935
In seiner Rede anlässlich der 70jährigen Gründungsfeier der ehemaligen Unteroffiziersschule Ettlingen, die 1940 aufgrund des Krieges sehr schlicht im Berliner Ratskeller stattfand, führte Kameradschaftsführer Giesemann aus, dass sich Ettlingens Füsiliere „auf dem Holzhof, dem Kleinen und dem Großen Exerzierplatz“ tummelten, „bzw. sie wurden getummelt. Die schönen Schießstände im Hardtwald boten angenehme Erholung, für manche aber auch leider das Gegenteil. Die militärischen Spaziergänge in den schönen Schwarzwald und die sogenannten Schwarzwaldübungen kurz vor den Herbstmanövern sind noch in unser aller Erinnerung. In der schönen Badeanstalt, die von echtem Schwarzwaldwasser gespeist wurde, erlernten wir das Schwimmen. Zum Verbringen der Freizeit, namentlich der Sonntage, bot die schnell zu erreichende badische Residenz Karlsruhe reichlich Gelegenheit. So vergingen Jahre und Jahrzehnte im tiefsten Frieden.“ […] „Die Herbstmanöver […] führten in herrliche Gegenden Süddeutschlands.“
„Uns allen ist das altehrwürdige Schloß, in dem wir nach Verlassen unseres Elternhauses eine Zufluchtsstätte fanden, so sehr ans Herz gewachsen, dass wir uns all der Schweißtropfen und der schweren Stunden, die wir in seinen Mauern zu unserem eigenen Vorteil vergießen bzw. verbringen mussten, freudig erinnern, und alle sehnen wir uns danach, die heiligen Hallen wieder einmal betreten zu dürfen.“8
Ein Ettlinger Bürger widmete den in den Krieg kommandierten Unteroffiziersschülern ein Gedicht voll des Lobes über die Ettlinger Füsiliere.
„Eine Geschichte der Unteroffizierschule Ettlingen würde unvollständig sein, wenn sie nicht auch der Stadt und ihrer Bewohner gedenken würde. Zwischen der Stadtverwaltung und der Schule hat immer das beste Einvernehmen bestanden. Bei allen Gelegenheiten, mochte es sich um Anlagen von Exerzierplätzen, Schießständen oder um andere militärische Wünsche handeln, hat die Stadt stets größtes Entgegenkommen bewiesen. Zwischen den Bewohnern der Stadt und den Angehörigen der Schule bestand ein gutes, oft herzliches Verhältnis. Die Ettlinger freuten sich ihrer Füsiliere und sahen sie nur mit Wehmut scheiden. Mancher Angehöriger der Schule hat sich in Ettlingen seine treue Lebensgefährtin geholt, sodaß die Beziehungen zwischen der Bevölkerung und der Schule auch heute noch nicht unterbrochen sind. In wirtschaftlicher Hinsicht hat die Auflösung der Schule für die Stadt und Bevölkerung mancherlei Nachteile zur Folge gehabt.
Die Unteroffizierschule Ettlingen hat den infolge des Weltkrieges grundlegend geänderten Verhältnissen leider weichen müssen. In ihren ehemaligen Angehörigen aber lebt sie weiter, bis der Tod ihren letzten abgerufen hat.“9
ein Artikel von Veronika Pirzer, Monika Engelhardt-Behringer und Dieter Behringer, 2022
Anmerkungen:
1 Ortsgruppe Ettlingen des Landesvereins “Badische Heimat“ (Hrsg.), Aus der Geschichte der Unteroffiziersschule in Ettlingen. In: Der Lauerturm, Heimatbeilage der Ettlinger Zeitung. Sondernummer 1964.
2 Badischer Landsmann, 29. Juli 1935. SAE 4739.
3 ebd.
4 Mittelbadischer Kurier, 23. Juli 1935. SAE 4739.
5 Der Führer, Mittelbadischer Kurier und Badischer Landsmann, 26. Juli 1935. SAE 4739.
6 Badischer Landsmann, 29. Juli 1935. SAE 4739.
7 ebd.
8 Rede des Kameradschaftsführers Giesemann, SAE 4739.
9 Festschrift und Führer zu den Veranstaltungen der 2. Wiedersehensfeier und Vertretertagung des Reichsbundes ehem. Unteroffizierschüler und -Vorschüler in Ettlingen (Baden) vom 27. Juli bis 3. August 1935. SAE 4739.